Hallo,
hier der neueste Bericht der Frankfurter Rundschau:
Pflegedienste
In der kriminellen Grauzone
VON JUTTA RIPPEGATHER (FRANKFURT)
"Na, seid Ihr auch Betrüger." So werden Mitarbeiter hessischer Pflegedienste neuerdings bei ihren Hausbesuchen empfangen, sagt Manfred Mauer vom Landesverband privater Anbieter sozialer Dienste. Dabei schummeln oder irren sich die hessischen Pflegedienste bei ihren Abrechnungen vermutlich nicht häufiger als ihre Kollegen in anderen Bundesländern. Doch die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Hessen spürt besonders intensiv Auffälligkeiten bei Abrechnungen nach - schon seit sieben Jahren mit einem Spezialteam. Jetzt konnten die Fachleute von der AOK sogar den Landesdatenschützer Michael Ronellenfitsch davon überzeugen, dass sie im Verdachtsfall die Pflegedokumentationen einsehen dürfen. "Das Thema wird schon sehr lange ausdauernd unter Datenschützern konträr diskutiert", sagt dessen Mitarbeiter Michael Sobota. Der Bundesdatenschützer Peter Schaar erlaubt den Zugriff auf die Unterlagen nicht.
So erklärt sich die hohe Zahl von Falschabrechnungen, die die AOK-Hessen in der vergangenen Woche veröffentlichte und die bundesweit für Schlagzeilen sorgte: Von 307 Pflegediensten, die auf Grund von Hinweisen in den vergangenen drei Jahren geprüft wurden, habe die Hälfte falsch abgerechnet.
Die AOK-Hessen gilt bundesweit als Vorreiterin. Seit Anfang 2004 muss jede Krankenkasse eine "Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen" vorhalten. Das hatte Rot-Grün in der Gesundheitsreform festgeschrieben. Wie intensiv dort gearbeitet wird, sei "regional und von Kasse zu Kasse sehr unterschiedlich", sagt ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums. Fakt ist: Keiner weiß, wie viel Fälle bislang bundesweit aufgedeckt wurden - auch dem Bundesversicherungsamt fehlt der Überblick.
Schwarze Schafe unter den Diensten
Jede Kasse führt ihre eigene Statistik, die auch nicht immer aufbereitet ist. Beispiel AOK-Bayern: Die verzeichnet für den Zeitraum von April 2004 bis vergangenen Dezember 209 "Verdachtsfälle", in denen zurzeit ermittelt werde, der Schaden belaufe sich auf drei Millionen Euro. Oder die Kaufmännische Krankenkasse (KKH): Sie meldet bundesweit für das erste Halbjahr dieses Jahres 43 Fälle mit einem Schadenvolumen von 470 000 Euro.
Falschabrechnung heißt nicht automatisch Betrug, stellt Oliver Wist von der KKH-Zentrale in Hannover klar. Es komme häufig vor, dass ein Pflegedienst nur Leistungen erbringe und abrechne, die nicht im Vertrag ausgemacht seien. Oder dass unqualifiziertes Personal zum Einsatz kommt - etwa angelernte Kräfte, die Spritzen setzen. Die schwarzen Schafe unter den Diensten zu entdecken sei ein schwieriges Unterfangen. Viele Patienten seien altersdement, könnten sich nicht erinnern. Judith Petrich von der AOK-Bayern spricht ein weiteres Problem an: "Die meisten sind allein und hilflos." Sie hätten Angst ihre Betreuung, ihre Bezugsperson, zu verlieren. Die emotionale Abhängigkeit nutzten gewisse Pflegedienste schamlos aus. Die Kassen seien deshalb dringend auf Hinweise von Angehörigen oder Bekannten angewiesen. Eine weitere Quelle sind die Rechnungsprüfungen. Bei durchschnittlich fünf Prozent der rund 10 000 Rechnungen pro Quartal stellt die AOK-Bayern "Auffälligkeiten" fest. Da werden Leistungen für Tage abgerechnet, an denen sich der Patient im Krankenhaus aufhielt. Oder es wird für Blutzuckerstreifen kassiert, die dem Patienten selbst gehören.
Kommt es zu Rückforderungen, regeln die Kassen und die Pflegedienste dies oft unter sich, sagt Riyad Salhi von der AOK-Hessen. Denn wenn die Staatsanwaltschaft sich der Sache annimmt, müsste die Kasse Jahre auf ihr Geld warten. Alexander Badle von der Eingreifreserve der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt macht für die langen Bearbeitungszeiten mangelnde Sachkompetenz verantwortlich. Die Strafverfolger seien oft überfordert, die komplexen Sachverhalte zu verstehen. In Frankfurt werde gerade eine Spezialeinheit aufgebaut, die mit externen Sachverständigen zusammenarbeitet. Um kriminelle Machenschaften nachweisen zu können, müssten oft hunderte handschriftliche Aufzeichnungen gesichtet und mit anderen Unterlagen abgeglichen werden. Deshalb brauche man externe Fachkräfte.
Nicht alles ist Betrug und Täuschung
Bedarf an Spezialisten sieht auch ein Kollege Badles von einer Ermittlungsbehörde in Niedersachsen. "Jeder Staatsanwalt muss das Rad neu erfinden", sagt er. Es dauere seine Zeit, um die komplizierten Strukturen zu durchschauen. Nach neun Jahren hat er den Durchblick und gibt seine Kenntnisse weiter - an Polizisten, Staatsanwälte, Krankenkassen-Mitarbeiter. Der Fachmann warnt vor pauschalen Verurteilungen. Betrug sei ein schwerer Vorwurf. "Es passieren auch viele Irrtümer, nicht jede Unregelmäßigkeit ist ein Täuschungsmanöver." Dass eine Pflegekraft sich in der Eile des Tagesgeschäfts verschreibt, könne vorkommen. Es gebe aber auch Patienten, die beim Abrechnungsbetrug mitspielten. "Die bekommen dafür dann Geld vom Pflegedienst."
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Copyright © FR online 2006
Dokument erstellt am 24.08.2006 um 17:44:01 Uhr
Letzte Änderung am 24.08.2006 um 17:56:32 Uhr
Erscheinungsdatum 25.08.2006
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Das wirklich Empörende ist, dass ausgerechnet die Krankenkasse, die sich bei der Bewilligung von ärztlich verordneten Leistungen am häufigsten (fast immer) querstellt, diese Initiative anzettelt.
Erst nach monatelangem Kampf, unzähligen Widersprüchen, Attesten, Telefonaten und hohen Portokosten kommen Versicherte im besten Fall bei dieser Krankenkasse zu Ihrem Recht. Eine Versicherten-/Patientenfreundliche Zusammenarbeit ist kaum möglich.
Der AOK geht es bei dieser Aktion ausschließlich um die Einsichtnahme in die Pflegedokumentation, die ihr bisher - zu Recht- versagt ist.
Auch ich bin dafür, dass kriminell arbeitende Pflegedienste zur Rechenschaft gezogen werden und plädiere deshalb für externe Gutachter und eine positiv/negativ-Liste. Der Generalverdacht ist unangebracht.
Valentina