AW: Gewalt durch Pflegende
Ohne Zweifel ist Gewalt ein Thema, welches uns vielfältig und facettenreich in allen Lebensbereichen begegnet.
Ein einfache und eindeutige Definition des Gewaltbegriffs besteht (derzeit...) nicht.
Im juristischen Sinne besteht Gewalt aus der vis absoluta, auch die überwältigende Gewalt, diese beschreibt vor allem die Gewalt, die körperlich verursacht wird. Dagegen beschreibt die vis compulsiva, die beugende Gewalt, die vor allem durch psychische Einwirkung hervorgerufen wird.
Eine weitere, seitenweise Aufsplittung mag ich uns ersparen. Bleiben wir beim berufsspezifischen Kontext.
Die Gewalt in der Pflege findet häufig verdeckt statt, ist häufig nicht deutlich erkennbar und ist ein emotional "stark aufgeladenes" Thema.
Die Anfänge dieser Gewalt sind auch schwer zu erkennen, da alle Beteiligten sich in einem engen Arbeits- und Beziehungsfeld befinden, in welchem ja alle voneinander abhängig sind..
Gerade nun auch in Situationen von Pflege und Betreuung kann sich immer wieder Gewalt entwickeln, weil
- die Beteiligten nicht gleich stark sind. Hier gibt es Macht und Ohnmacht.
- die finanziellen und personellen Rahmenbedingungen nicht ausreichend sind.
- sich Rollen umkehren oder auflösen. Z.B. muss der Sohn oder die Tochter die Eltern versorgen. Oder Pflegekräfte entwickeln eine
überfürsorgliche Beziehung, sie verlassen dann ihre Professionalität und handeln nicht mehr entsprechend ihrer Rolle.
- Spannungen und Missverständnisse nicht besprochen werden.
- die Überforderung zu groß wird.
- eine Pflegekraft so unter Druck gerät, dass sie oder er »ausrastet«, »explodiert«.
- das Pflege-Team nicht als Team funktioniert, z.B. Pflegekräfte ausgrenzt, die nötige Unterstützung verweigert, Probleme übergeht und/oder nicht
anspricht. Mobbing zulässt oder auch aktiv betreibt.
- die Pflegekraft nicht mehr Pflegekraft ist sondern zum Factotum wird.
und vieles andere mehr.
Die Gewalt im allgemeinen und hier im speziellen entsteht auch nicht zufällig, sie ist nur selten spontan und hat viele Formen.
Z.B. seitens der Pflegeperson ist Gewalt auch: das unabgesprochene Duzen oder die Herabwürdigung, die Verletzung des Schamgefühls, die mangelhafte Ernährung oder auch eine unzureichende hygienische Versorgung, u.v.m.
Aber auch gegenüber dem Pflegepersonal, kann u.a. auch ständiges Klingeln, ein ständiges Fordern des pflegebedürftigen Menschen schon eine Form von Gewalt sein.
Die uns begegnende Gewalt gegenüber älteren Menschen kann nun auch unterschiedliche Formen annehmen.
Sie reicht von körperlicher und emotionaler Misshandlung bis zur finanziellen Ausbeutung.
Als am häufigsten anzutreffen haben sich hier die Gewalt-Formen
- der physische Gewalt (körperlicher Schaden durch z.B. Treten oder Schlagen)
- der psychische Gewalt (z. B. durch Aggressivität, Drohungen, Demütigung)
- der finanzielle Ausbeutung (z.B. Diebstahl oder erzungene Übertragung seines Eigentums)
- des sexueller Missbrauch (körperlich oder/und Verbal)
- der Vernachlässigung
- des unangemessene Einsatz und die Dosierung von Medikamenten. Z.B. die unangemessene Vergabe von Psychopharmaka, gerade bei Patienten
mit diagnostizierter Demenz
- des unangebrachten Einsatzes von freiheitsentziehenden Maßnahmen, gerade in Pflegeheimen
als nicht abschließende Aufzählung gezeigt.
Wobei gerade der erste und zweite Punkt auch eine Gewalt-Form des älteren Menschen gegenüber der Pflegeperson darstellen kann.
Ein weites und kompliziertes Geflecht von Reizen und/oder (Stress-)Situationen, welche als komplexe Wechselwirkungsprozesse zwischen den Reizen und Anforderungen der Situation und der betroffenen Person zu verstehen sind.
So wird nicht die (objektive) Beschaffenheit des Reizes oder der Situationen für die Stressreaktion von Bedeutung sein, sondern deren (subjektive) Bewertung durch den Betroffenen. Wir Menschen sind ja sehr unterschiedlich in unserem Erleben und Empfinden. So sind wir auch für einen bestimmten Stressor höchst unterschiedlich anfällig. Was für den einen höchsten Stress bedeutet, wird von einem anderen noch nicht als Stress empfunden.
So wird jeder Mensch Situationen und deren Belastung unterschiedlich bewerten, und damit auch deren Bedrohlichkeit.
Ebenso unterschiedlich sind dann auch die problem-, emotions- und/oder bewertungsorientierten Coping-Strategien und deren Wirksamkeit des Einzelnen.
Daher muss auch der Umgang mit jedwedem Auftreten von Gewalt-Situation sehr individuell geführt werden.
Es versteht sich, dass es nicht
DENN EINEN Lösungsweg geben kann. Vielmehr bedarf es hierzu einer fachlichen und qualifizierten Sichtweise und Wertung auf jede individuelle Problemsituation mit eben einem ebenso individuellen, fachlich-qualifizierten Lösungsweg.
Und mal ganz sachlich, ich kann sehr gut nachvollziehen das solcherlei Gewalt-Situationen bei jenen die sie als Dritte miterleben zu starken emotionalen Gefühlsregungen führen. Das ist auch gut so.
Nur, solche unreflektierten Aussagen:
Das kann doch wohl nicht sein das so ein Pack weiter alte Leute mißhandelt.
Solche Leute müssen raus aus der Pflege!
erwarte ich nicht von Pflegefachkräften. Diesen darf unterstellt werden, dass sie eine ausreichende fachliche Kompetenz besitzen, um auch hier die notwendige Sachlichkeit aufbringen.
Es kann doch nicht darum gehen, hier eine "grobe" Konsequenz zu fordern, ohne die Hintergründe für dererlei Taten zu reflektieren.
Wenn es um das Verhalten von Patienten geht, dann wird mit allerlei Assessments gemessen, Biographiearbeit betrieben, Zeit in Team-Besprechungen investiert und und und... um die Ursache für z.B. "das traurige Verhalten" zu eruieren und hierfür geeignete Lösungswege zu entwickeln "damit der Patient sich wohl fühlt".
Zeigt jedoch eine Kollegin "Auffälligkeiten" (gleichwohl ob sich dies nun in Gewalt ausdrückt), dann scheitert häufig die "ach so" fachliche Pflegefachkeit. Sorry, aber wenn ich dann diesen unreflektieren Aussagen ihren inhaltlichen Gehalt entnehme, so müssen wohl ganze Teams aus der Pflege entfernt werden. Eben weil sie nicht in der Lage sind, sachlich und fachlich mit eben den bekannten Mitteln wie u.a. "Assessment", Biographie, Team-Besprechung zu reagieren um geeignete Problemlösungen zu entwickeln.
Nein Kinners, kein Mensch ist "von Hause aus" böse und gewalttätig. Dies hat immer eine, häufig behebbare Ursache.
Es ist nicht unmöglich, mit seinen Kolleginnen vertrauensvoll zusammenarbeiten, aber in dem Fall, dass die Gesundheit eines Patienten von jemand bedroht wird, angemessen einzuschreiten, um diesen zu schützen.
Das eine kann und darf das andere nicht ausschließen.
Es war auch im Kollegium bekannt, das diese Kollegin "manchmal sehr heftig drauf" ist.
So muss auch hier die Frage gestellt werden, warum hat dann das Team nicht adäquat reagiert und eine Problemlösung für dieses bekannte Problem gesucht?
Die Schimpferei hat mich so entsetzt, das ich die Kollegin, vor der Bewohnerin, anschrie und sie aufforderte aufzupassen wie sie mit den Bewohnern redet!
Ja, und hier hat die (nicht akzeptable) verbale Gewalt einer Kollegin gegenüber einer Bewohnerin bei einem Dritten etwas bewirkt, was dieser ihr gegenüber verurteilte. Ihre überzogenen verbalen Gewalt hat ihn zu einer ebenso überzogenen verbalen Gewalt verleitet. Schon sind wir in einer Gewalt-Spirale.
Hierbei möchte ich nun gar nicht auf das Umfeld dieser Aueinandersetzung weiter eingehen.
Uns allen dürfte ja klar sein, never ever vor Patienten/Bewohnern. Und ein "Anschiss" ist hier gewiss das mildeste Mittel der Reaktion.
So steht (weiterhin) zu hoffen, das wir alle die Augen nicht verschließen und konstruktiv nach fachlich-qualifizierten Lösungen für all die Probleme suchen werde...
:coff:
Zu frühe Urteile sind Vorurteile, aus denen der Irrtum emporsteigt, wie der Nebel aus dem Meere.
Heinrich Pestalozzi