Hallo Irmgard,
Du machst es Dir wahrlich nicht leicht!
Zumindest ich empfinde Deine Zeilen, aus denen ich durchaus auch Wut, Groll, Verzweiflung und Hader mit dem Schicksal zu erkennen glaube, als Deinen persönlichen Versuch der Trauerbewältigung. Du stellst Dir vielleicht vor, es könnte Dir helfen, wenn der verantwortliche Arzt und das Pflegeteam vor Gericht kämen, dass sie verurteilt werden, dass man die Approbation einzieht und alle Verantwortlichen von der Klinikleitung entlassen werden. Denn Du musst nun leiden und die anderen leben lustig weiter, als ob nichts geschehen wäre, das empfindest Du mehr als ungerecht und darf so nicht sein. – Na ja gut, das ist jetzt freilich überspitzt formuliert, aber Du weißt sicher was ich meine.
Einen geliebten Menschen leiden zu sehen und letztlich sogar zu verlieren gehört zweifelsohne mit zu den schlimmsten Dingen, die einem im Leben passieren können. Wieviele Hoffnungen hattest Du doch in einem positiven Ausgang seiner Krankheit investiert. Du hattest Dich vermutlich auch schon damit abgefunden, Dein Leben künftig an der Seite eines Dialysepatienten zu verbringen und die damit verbundenen Einschränkungen im Geiste auch schon akzeptiert. – Und nun hat Dir das Schicksal einen dicken Strich durch all das gemacht. Schlimm! – ja. Nun versuchst Du aber das abstrakte nicht fassbare Schicksal, mit dem Du haderst, in Gestalt des Krankenhausteams zu personalisieren. Nachvollziehen kann ich das durchaus – gut heissen aber nicht.
Ich glaube, dass nur die Zeit die Wunden Deiner Seele heilen wird. Versuche Dir die schönen und glücklichen Stunden Euerer Partnerschaft im Herzen zu bewahren. Die Erinnerungen an einen geliebten Menschen sollten doch schöne sein, nicht wahr? -
Doch gehen wir mal zurück zu den Fakten, die Du uns hier dargelegt hast. Wenn das wirklich die ganze Wahrheit ist und Du wirklich alles Relevante erfahren und selbst erlebt hast, so ist das sicher „ein Hammer“ und ein Staatsanwalt müsste in der Tat umgehend die Ermittlungen aufnehmen.
Allerdings bleiben schon jetzt für mich berechtigte Zweifel, dass Du über alle Fakten seiner Krankengeschichte umfassend informiert worden bist.
(Du sprichst vom Lebensgefährten, Partner, aber nicht vom Ehemann. Wenn Du also nicht die gesetzliche Ehefrau bist, darf man Dir ohne ausdrückliche Vollmacht des Patienten ja nicht einmal Auskünfte erteilen, geschweige Einsicht in die Krankenakten gewähren. Doch nur so kannst Du wirklich alles erfahren. Heute muss ja (oft zu unserem Leidwesen) in der Medizin jeder „Poop“ und jede Maßnahme aufwändig dokumentiert werden .
Spontan bin ich bei Deinen Schilderungen gleich über mehrere Ungereimtheiten gestolpert. Der Ablauf der Behandlung für einen „Standartdialyse patienten“ sieht doch etwa folgendermaßen aus: Da das chronische Nierenversagen von wenigen Ausnahmen abgesehen, ja nicht von heute auf morgen auftritt, sondern ein Prozess ist, der sich über Monate und Jahre hinziehen kann, sollte es im Rahmen dessen heute eigentlich nicht mehr zu spektakulären Intensivstation Einweisungen kommen. In der prädialytischen Phase wird der Patient zuerst vom Hausarzt und dann von einem Nephrologen betreut und geführt. In der anfängliche Phase der Polyurie wird man den Patienten sogar zum Trinken animieren müssen, 3 liter pro Tag und mehr, bis hin zur oft schwierigen Umkehr d. h. Einschränkung der Trinkmenge, wenn die Phase der Oligurie und schließlich der Anurie erreicht ist. Wenn dann irgendwann die entsprechenden Kriterien erfüllt sind (die jedes nephrologische Zentrum ein wenig anders festlegt) , wird man einen Shunt anlegen lassen und irgendwann mit der Dialyse beginnen. Am Anfang vielleicht noch sehr dezent, vielleicht nur 2x die Woche, vielleicht auch nur jeweils 3 Stunden. Für die Einweisung in eine Intensivstation gibt es deshalb aber keinen Grund. Selbst die Shunt-OP wird heute oft ambulant erledigt. Gerade in der prädialytischen Phase spielt natürlich die Waage eine wichtige Rolle im Leben des Patienten und sein Gewichtsverlauf wird sicher in den Krankenakten penibel geführt und nachvollziehbar sein. Bei Deinem Partner scheint das aber alles ganz anders gelaufen zu sein - warum?
Es gibt freilich eine Reihe von schweren Erkrankungen, die die Nieren zwar nicht primär betreffen, aber in der Folge schädigen. (Stichworte: Diabetes, Tumore etc.) Als ich mich in den 70er Jahren auf die Hämodialyse spezialisiert habe, war in Deutschland gerade der Umbruch bei den Auswahlkriterien für die Aufnahme von Patienten in das chronische Dialyseprogramm. Wegen der arg begrenzten Plätze hatten ja bislang ärztliche Komissionen in jedem Einzelfall entschieden, welcher nierenkranke Patient überhaupt in das chronische Dialyseprogramm aufgenommen wird und welcher nicht.
40 Jahre war z.B. eine definierte Altersgrenze und es kam auch kein Patient in das Programm, bei dem das Nierenversagen durch eine andere Primärerkrankung verursacht worden war. (All diese Patienten ließ man damals einfach sterben.) Dies hatte andererseits aber auch zur Folge, dass die statistischen Überlebensraten damals oft besser waren als heute, wo jeder, egal wie alt und mit welcher Grunderkrankung in das Dialyseprogramm übernommen wird.
(Es gibt in Deutschland heute doch noch etliche Patienten, die nun schon über 30 Jahre dialysiert werden.) Man darf aber auch nicht verschweigen, dass heute in Deutschland jeden Tag dialysepflichtige Patienten versterben – oft nach langem Siechtum, aber sehr oft auch völlig unerwartet innerhalb von Minuten, sowohl an der Dialyse als auch zu Hause. Herzinfarkte, Schlaganfälle, Hirnblutungen, Infektionen und oft auch andere unklare Ursachen zeichnen dafür verantwortlich. Fast immer ist das Gefäßsystem eines Patienten mit Nierenversagen nicht nur in den Nieren, sondern im gesamten Organismus (auch im Herzen oder Gehirn) mehr oder weniger stark geschädigt. Die nephrologischen Teams kämpfen doch in der ganzen Welt täglich gegen Bluthochdruck aber auch gegen zu niedrigen Blutdruck ihrer Nieren-Patienten. Das ist unser Alltag.
Man stirbt aber nicht an einer (mit bloßem Auge jederzeit klar erkennbaren) Hypervolämie von vielleicht 5 oder 6 Litern. (Entsprechend geeichte Dialysepatienten bringen über das Wochenende locker schon mal 7 Liter und mehr mit und sind dabei noch nicht mal unbedingt kurzatmig.) Auch das kannst Du als Hinweis nehmen, dass das Fehlen einer Waage keinesfalls für den Tod Deines Lebengefährten verantwortlich gemacht werden kann. Insbesondere macht die Hypervolämie an sich aber auch keine Lähmungen, kein Hirnödem und auch keine Kopfschmerzen (eher schon die Dialysebehandlung selbst – Stichwort: Disäquilibrium-Syndrom ) Auch der Blutdruck geht keineswegs immer konform mit der Gewichtszunahme. Ein hoher Blutdruck muss also keineswegs immer vom eingelagerten Wasser kommen. Wo, wie und wie oft und wielange wurde denn Dein Partner die ganze Zeit dialysiert? Wenigstens da müssen doch nephrologisch geschulte Fachkräfte sein, die wissen was Sache ist, wenn das auf der Station schon nicht möglich war. Zu jeder Dialyse gibt es ein Dialyseprotokoll auf dem unter anderem das Gewicht vor und nach der Behandlung und der erfolgte Wasserentzug vermerkt sein sollte. Was ist damit? Eine Dialyseeinrichtung wird doch alles versuchen , einen eventuell entgleisten Elektrolyt -und Wasserhaushalt wieder in den Griff zu bekommen. Du hattest doch zuerst einen Arzt Deines Vertrauens - kannst Du nicht mit dem Kontakt aufnehmen und um ein klärendes Gespräch bitten?
Du solltest aber auch daran denken, dass wir mit der Dialyse leider niemanden heilen können, sondern die Krankheit lediglich mehr oder weniger erfolgreich in Schach halten können. Das bedeutet, dass wir zu unseren Patienten, die wir ja drei mal pro Woche oft über viele Jahre, oft genug bis zum Tod, begleiten immer eine persönliche Beziehung aufbauen – ob wir das nun wollen oder nicht. Unsere Lichtblicke im Bezug auf Behandlungserfolge sind dabei ja sehr bescheiden. Wir freuen uns also über einzelne erfolgreiche Dialysen oder freilich auch über eine erfolgreiche Transplantation und leiden aber auch mit, wenn etwas schief läuft, wenn es Pannen, Probleme ja sogar Todesfälle gibt. Immer fragt man sich ob man vielleicht etwas falsch gemacht hat, ob man etwas übersehen hat, ja, ob man daran Mit- Schuld hat, ob man versagt hat. Es ist dann aber auch eine Art von Selbstschutz, wenn man versucht das alles nicht zu dicht an sich herankommen zu lassen, weil man sonst bald seinen Beruf an den Nagel hängen müsste. Ich gestehe auch, dass ich nach dem Tod eines von mir an der Dialyse betreuten Patienten gegenüber den Angehörigen immer ein Schuldgefühl entwickele, auch dann, wenn sie keine Vorwürfe gegen mich erheben. Ich kann also den Hinterbliebenen auch nicht so unbefangen gegenüber treten, wie ich das eigentlich gerne tun würde. Das wirkt sicher manchmal seltsam und befremdlich für die Leute. – ist aber nun mal so.
Ich kann Dir hier und heute bei den von Dir hier angebotenen Fakten wirklich nur dringend empfehlen, einen Gesprächstermin mit den behandelnden Ärzten zu vereinbaren und den Termin dann so gut es geht ohne Vorurteile und zunächst ohne persönliche Anschuldigungen wahrzunehmen. Du kannst dabei doch gerne gestehen, dass Du über den unerwarteten Tod Deines Lebensgefährten einfach nicht hinwegkommst und sie bitten Dir zu erklären, warum und woran er verstorben ist. Das werden wir hier nicht klären können. Vielleicht musst Du aber mit so einem Gespräch auch noch einige Zeit warten, bis Du dafür stark genug bist und Dich psychisch dazu in der Lage siehst. Dann bleibt Dir einstweilen ja wenigstens hier noch das Forum. Vielleicht melden sich ja auch noch andere Kollegen und Kolleginnen in der nächsten Zeit.
Mit besten Wünschen und ebensolchen Grüßen
Hans
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