AW: Demnz Beschäftigung?
Bei mir im Heim (ich arbeite auch mit Dementen, die meisten Pflegestufe 2 und 3) sollte
eigentlich jeden Tag für 90 Minuten ein/e Ergotherapeut/in da sein, die mit den Bewohnern
Gedächtnistraining, Spiele, Musik usw. macht, das war aber schon während meines 4-monatigen Praktikums
kaum der Fall, was schon 5 Monate zurück liegt, und jetzt, seitdem ich die Ausbildung mache, sogut wie gar nicht mehr. Ich weiß nicht, ob es an Krankheitsausfällen liegt, aber ich denke schon, denn eigentlich
ist halbwegs ausreichend Personal vorhanden.
Bei Aussagen wie "Essen eingeben ist auch Beschäftigung" wird mir echt schlecht, weil wieder mal ganz deutlich wird, dass alles nur noch über die "sauber, trocken, satt"-Schiene läuft.
Klar, wenn wir alle ehrlich sind, oft geht es wirklich nicht anders, aufgrund von Personalmangel, Krankheit, oder weil die Bürokratie in Form von Dokus zuviel Zeit frißt.
Aber eine solche Aussage, gerade aus dem Mund von jemandem in leitender Position, lässt bei mir das Bild der grausigen Fratze des Kapitalismus entstehen, die sich nicht einmal mehr scheut, sich in aller Öffentlichkeit stolz zu zeigen. Vielleicht interpretiere ich da auch zuviel hinein, schließlich war ich in der Situation nicht anwesend, aber der Eindruck entsteht.
Ich versuche auch in jeder freien Minute mit dem ein oder anderen zu sprechen, mit einer Bewohnerin zu singen, die anders kaum noch erreichbar ist, oder mit ein paar anderen ein wenig spazieren zu gehen, weil der Bewegungsdrang immens hoch ist.
Aber ich stoße immer schnell an meine Grenzen, die mir durch die fehlende Zeit gesteckt werden.
Von einem Bewohner, zu dem ich von allen das beste Verhältnis habe, da er mir persönlich sehr sympathisch ist und auch der einzige auf der ganzen Station, der noch vollkommen fit im Geist ist und kaum etwas vergisst (warum er auf einer geschlossenen Station ist, weiß keiner so recht, und ich habe schon angemerkt, dass er besser auf eine andere soll) habe ich heute von einer Kollegin am Telefon erfahren, dass er Suizidgedanken geäußert hat, was mich absolut nicht überrascht hat, da er dort wirklich sprichwörtlich "eingeht".
Natürlich liegt es auch daran, dass er unter den anderen Bewohnern niemand zum Reden hat,
wahrscheinlich sogar zum Großteil, aber diese depressive Stimmung hat er erst, seit dem ich in der Schule bin, also seit anderthalb Wochen.
Vorher habe ich soviel Zeit mit ihm wie möglich verbracht, und wir haben beide die gegenseitige
Gesellschaft sehr genossen.
Also sind diese Suizidgedanken durch mangelnde Beschäftigung und vor allem Zuwendung entstanden,
deswegen werde ich wirklich stinksauer, wenn ich solche Kommentare a la "Ein Toilettengang ist bereits Beschäftigung" lese....
Am Montag nach der Schule werde ich ins Heim fahren und mit der Heimleiterin persönlich sprechen,
damit da was passiert, weil ich aus eigener Erfahrung weiß, was die Einsamkeit auf Dauer für eine schreckliche Begleiterin ist, und wozu sie einen treiben kann...
Was wollte ich jetzt eigentlich sagen, außer mir mal Luft zu machen, wie viele andere hier auch?
Achja, ich denke, wir sollten uns darauf besinnen, welche Kleinigkeiten WIRKLICH als Beschäftigung
und Zuwendung gezählt werden können, uns bewusst machen, dass es auch mit wenig Zeit immer wieder möglich ist, zwischendurch etwas in der Richtung zu tun, und uns vor allem nicht kaputt machen, sondern uns bewusst machen, dass wir nur soviel tun können, wie in unserer Macht steht, auch wenn
wir gerne mehr tun würden/sollten, so hart es auch ist....aber wir alle haben auch ein eigenes Leben,
für das wir viel Kraft, Nerven und auch Zeit brauchen....
Liebe Grüße, euer Metzger