Hallo zusammen,
da mir das Thema wichtig erscheint, möchte ich doch versuchen die Pflege - nach anfänglicher Empörung - in ihrem Zurücksacken in den selbstzufriedenen Tiefschlaf zu stören:
Das Urteil des OLG Köln ist inhaltlich sicherlich fraglich, in der Tendenz hingegen absolut richtig.
Denn erst infolge dieses Urteils ging die Bewilligung von AD- und WD- Systemen für dekubitusgefährdete Bew. leichter vonstatten.
Auch die Frage der Beweislast wurde m. E. richtig entschieden.
Denn wer sollte die Beweislast eher tragen: der Dekubitus- Pat./ Bew., der genau wie sein Anwalt i. d. R. keine pflegerisch- medizinische/ pflegewissenschaftliche und betriebsinterne Kenntnisse hat, oder die Pflege, die sich gern als kompetent, professionell und wissenschaftlich fundiert bezeichnet und dafür eine eigene (Pflege-) Wissenschaft vorhält?
Sicherlich eher die Pflege - letztendlich will sie sich ja auch profilieren.
Prinzipiell wäre das auch kein Problem, wenn denn Pflege in diesem Punkt tatsächlich so kompetent, professionell und wissenschaftlich fundiert wäre. Sie könnte in jedem Gerichtsverfahren ihre wissenschaftlichen Daten präsentieren und bräuchte nur noch nachweisen, daß sie auf deren Grundlage gehandelt hat - schon wäre der Fall vom (Richter-) Tisch.
Leider ist das ganz offensichtlich nicht möglich, denn in keinem Beitrag dieses Threads konnten wissenschaftliche Daten benannt werden, die es Pflegekräften ermöglichen, individuelle Lagerungsintervalle zu bestimmen.
Fehlen diese Daten aber - sowohl in der Ausbildung, als auch in späteren Fort- und Weiterbildungen - können Pflegekräfte keine Kompetenz zur Bestimmung individueller Lagerungsintervalle erlernen, geschweige denn Professionalität gewinnen.
In diesem Zusammenhang ein - durchaus ernst zu nehmendes - Zitat von Nephron:
Professionell Arbeitende haben im wesentlichen zwei Merkmale:
Sie beherrschen zum einen spezifische Fertigkeiten, zum anderen beruht ihre Arbeit auf wissenschaftlich fundiertem Grundlagenwissen, ... (vgl. Etzioni 1969 oder Zoege, 2004)
Pflegekräfte können demnach nur als Semi-Professionen bezeichnet werden, da das wissenschaftlich fundierte Grundlagenwissen wenig bis nicht vorhanden ist.
Demgegenüber wird - unter Berufung auf den sog. Fingerdrucktest - gerne versucht eine Professionalität auch ohne wissenschaftlich fundiertes Grundlagenwissen "aus dem Hut zu zaubern".
Das ist natürlich nicht möglich, da die Pflege sich ein wissenschaftlich fundiertes Arbeiten auf die Fahnen geschrieben hat und Professionalität insofern nur auf wissenschaftlicher Grundlage erlangt werden kann - nicht etwa ohne sie.
Aber selbst wenn man das verdrängt, scheint ein Arbeiten unter Verwendung des Fingerdrucktestes äußerst fraglich:
Zum Ersten ist die Verursachung einer Hautrötung erforderlich, die eine nicht positive Veränderung des physiologischen Hautzustandes darstellt; einen solchen hervorzurufen, kann per se schon nicht Aufgabe der Pflege sein.
Zum Zweiten birgt die erforderliche Hautrötung bekanntlich die Gefahr eines nachhaltigen Hautdefektes; Pat./ Bew. in potentielle Gefahr zu bringen kann ebenfalls nicht Aufgabe der Pflege sein.
Zum Dritten mutiert - bei Entstehen eines Dekubitus aus der provozierten Hautrötung - die Dekubitusprophylaxe zum eigentlichen Dekubitusrisiko.
Zum Letzten könnte im Zulassen einer Hautrötung mit der Gefahr der Entstehung eines Dekubitus evtl. schon der Versuch einer Körperverletzung liegen. Bis dies gerichtlich entschieden ist, bewegen wir uns wenigstens in unmittelbarster Nähe zur gefährlichen Pflege.
Folgende mögliche Frage eines Richters könnte ich jedenfalls nachvollziehen:
Wollen Sie mir ernsthaft erklären, daß sie eine Hautrötung bei ihren schutzbefohlenen Pat./ Bew. zulassen, und damit einen Dekubitus riskieren, um später mit dem Finger darauf drücken zu können - sind Sie noch bei Sinnen?
Gruß, Altenpflegel