Hallo zusammen,
ich finde den Begriff Spiritualität gar nicht so verwaschen, sondern eher für einfach sehr viel umfassend...
Ich assoziiere mit dem Begriff der Spiritualität den Bereich unseres (Bewußt-)Seins, der irgendwie spürt, daß es etwas Größeres, etwas Höheres gibt (egal, in welcher Form/Religion/Ansicht/Idee), daß meinem ganzen Dasein einen Sinn gibt oder eine Bedeutung, daß ich Teil eines größeren Ganzen bin, etwas, an dem ich mich auch festhalten kann, wenn alles andere in meinem Leben scheinbar keinen Sinn mehr hat.
Gehen wir mal von dem Patienten aus, der im Sterben liegt. Machen seine Schmerzen einen logischen Sinn ? Warum muß er vielleicht schon in jungen Jahren aus dem Leben gehen ? Ist danach alles einfach vorbei ? War sein Leben sinnlos ? ...und viele andere Fragen mehr...
Was macht es ihm leichter ? Manche würden es vielleicht einfach Hoffnung nennen, Hoffnung auf etwas, daß vielleicht noch kommt...andere würden vielleicht sagen, daß diese Hoffnung eh "Sinn"-los und Illusion ist.
Aber wie gehe ich als Pflegender damit um ? Wie gehe ich mit Fragen danach um, ob es "Sinn"-voll ist, daß ich so vielen Menschen nicht helfen kann ?
...und ich meine das jetzt nicht unbedingt bezogen auf den so oft benannten BurnOut oder, daß man sowas in einer Supervision durcharbeiten muß, sondern ich meine das als reines menschliches Bedürfnis nach...ja...wonach, daß entscheidet jeder im Endeffekt für sich selbst...
Wie kann ich einem Menschen, der ohne Hoffnung ist, seinen Weg erleichtern, wenn selbst ich nicht glaube, daß es da noch etwas gibt ? Selbst, wenn es etwas ganz anderes beim Gegenüber ist, als das, was ich als meinen "Sinn" definiere ?
Ich hoffe, daß klingt jetzt nicht alles zu abgehoben und vielleicht entferne ich mich jetzt auch etwas vom Thema, aber ich finde grad die Diskussion an dieser Stellung sehr spannend, denn benötigen wir als Pflegende nicht grad in den vielen Grenzsituationen, die wir erleben, um so mehr einen festen Stand in unseren spirituellen und ethischen Grundsätzen als der Schrankenwärter (nicht abwertend dem Schrankenwärter gegenüber, aber seine Schranke wird nie eine Träne vergießen wahrscheinlich oder leiden).
Ich habe hier mal etwas von der Internetseite des Kreuzbundes in Hamburg kopiert (
Kreuzbund Hamburg) zum Thema Spiritualität und finde die folgenden Zitate ganz passend, um vielleicht den Begriff der Spiritualität von dem zu trennen, was in unserer Diskussion oftmals mit der Amtskirche assoziiert wird.
Gedanken - Zitate - Überlegungen
Spiritualität bedeutet "Leben aus dem Geist". Der Geist, der die Menschen beseelt. Der "gute Geist".
Wie Menschen miteinander umgehen, darin zeigt sich der (gute) Geist. Der Geist "beflügelt" die Menschen und treibt sie zu einem menschlichen Leben an.
Spiritualität ist nicht gleichzusetzen mit Kirche, Spiritualität beinhaltet Glaube. Glaube an die Zukunft, Glaube an den Sinn im Leben. Leben von Mit-Menschlichkeit. Leben von Nächstenliebe und Hilfe (wie sie z. B. in den Gruppen praktiziert wird). Kreuzbund-Gemeinschaft kann zum Leben verhelfen.
Es geht um das Tun, die Fürsorge. Das Tun ist "caritas", Nächstenliebe. Die Selbsthilfegruppen des Kreuzbundes leben caritas.
Spiritualität beinhaltet auch die Auseinandersetzung mit der Sinnfrage. Fragen, die sich dem Menschen immer wieder stellen: "Woher komme ich? Wohin gehe ich? Wer bin ich? Was tue ich? Wie kann ich verantwortungsbewusst leben?" Fragen nach dem Sinn, Ziel und Hoffnung des Lebens.
"Denn so wie der Baum nicht endet an der Spitze seiner Wurzeln oder seiner Zweige, so wie der Vogel nicht endet an seinen Federn und seinem Flug, so wie die Erde nicht endet an ihrem höchsten Berg, so ende auch ich nicht an meinem Arm, meinem Fuß, meiner Haut, sondern greife unentwegt nach außen hinein in allen Raum und alle Zeit, mit meiner Stimme und meinen Gedanken, denn meine Seele ist das Universum"
(indianisches Gedicht).
Unser Leben enthält ein Verlangen nach Heilsein und Ganzsein, enthält ein Verlangen nach Vertrauen dürfen und enthält Sehnsucht nach Geborgenheit, um unserer Brüchigkeit standhalten zu können.
"Jeder hat das Bedürfnis, mehr zu sein als nur ein funktionierender Teil der Gesellschaft. Das Bedürfnis, dem eigenen Leben eine Größe und Würde zu geben. Jeder erlebt wohl diese technisch perfekte, aber doch auch geistlose (zumindest aber geistarme) Zeit auf seine Weise. Unser Leben verliert sich an der Oberfläche, und nicht wenige Menschen spüren in sich das Bedürfnis, ihr Leben nicht so dahinplätschern zu lassen, sondern ihm Tiefe und Inhalt zu geben. Spiritualität hat mit diesem Geist zu tun. Und das Anliegen jeder Seelsorge muss sein, Hilfe, hilfreiche Gedanken zu einem Leben aus dem Geist anzubieten."
(C.G. Jung, Bd. 16, S. 63)
Sinnhaftigkeit und Spiritualität...in meinem Bereich finde ich immer wieder bestätigt, daß grad die Suchterkrankung auch viel mit der Suche oder der Vermeidung der Suche nach der Sinnhaftigkeit zu tun hat. Ich belasse mal das folgende Zitat noch von der Seite dabei.
"Suchtkrankheit ist immer auch eine Sinn-Krankheit und eine Beziehungs-Krankheit. Gerade auf dem Hintergrund dieser Erfahrungen kann es nicht darum gehen, Sinn-Fragen (vor-)schnell zu beantworten, sondern zunächst einmal darauf aufmerksam zu machen, sie in unserem Leben bewusst wahrzunehmen und zuzulassen und sie eben nicht wieder in unserem Lebens-Alltag einfach wieder zuzumachen oder wegzumachen durch irgendein Suchtmittel, das uns scheinbar hilft, diese Fragen zu betäuben, oder auch durch andere Fluchtwege, von denen wir genügend kennen. Auch Sattheit, vollgestopfte Wohnungen, konsumierte Beziehungen, Aufstiege auf der Karriereleiter oder ein sicheres Kontopolster auf der Bank decken diese Fragen nicht ‚erfolgreich' zu. Die Fragen (Woher? Wohin? Wozu? Warum?...) bleiben wie Kletten an uns hängen, sie machen uns unruhig, und sie machen uns Angst. Wir wollen uns ihnen nicht so gerne stellen. Doch alles Streben nach Glück, Selbstverwirklichung, Erfüllung bleibt erfolglos, wenn es dem Menschen nicht gelingt, seinen ganz persönlichen unverwechselbaren Sinn zu finden. Dafür muss er aber über sich selbst hinaus sehen können (Selbsttranszendenz)".
(Hermann Garritzmann).
Auch das folgende Zitat finde ich sehr schön. Ich habe im Rahmen eines Praktikums in einer freien evangelischen Einrichtung das erste Mal mit den Theorien von V. Frankl zu tun gehabt und fand sie sehr eingängig grad für den psychiatrischen Bereich, ohne dabei unbedingt in das Christliche einzutauchen.
"Das Menschsein weist immer über sich hinaus, auf etwas oder jemanden hin, auf eine Sache, in deren Dienst man sich stellt oder einen Mitmenschen, dem man sich liebend hingibt. Nur im Dienst einer Sache und in der Liebe zu einer Person wird der Mensch ganz er selbst, ist er ganz Mensch".
(Viktor E. Frankl)
Vielleicht wird nun auch deutlich, daß ich gar nicht so auf die Amtskirche fixiert bin, sondern einfach in der christlichen Spiritualität eine gewisse Standhaftigkeit erlebe, die man für den Umgang mit Krankheiten und Kranken und sich selbst auch recht praxisnah anwenden kann...
Hoffend, jetzt nicht zu ausschweifend gewesen zu sein und damit die Fragestellung nochmal etwas geklärt zu haben (auch dahin gehend, warum ich interessiert daran bin zu erfahren, woran sich jemand ganz ohne "spirituellen Sinn" in unserem Beruf festhält) mit herzlichen Grüßen,
Euer
Fragmentis