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Stefan Goßens
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- 01.09.2001
Liebe KollegInnen,
wieder einmal stehe ich vor einer Situation, deren Einschätzung mir nicht leicht fällt.
Es geht um einen Patienten, bei dem nach einer Stammhirnblutung im Krankenhaus zufällig bei der Grundpflege festgestellt wurde, dass er bereits seit geraumer Zeit an einem Hodencarcinom erkrankt ist.
Auf der Urologie wurde der junge Mann zunächst operiert, nun soll er bei uns eine Hochdosis-Chemo erhalten. Der Zustand des Patienten stellt sich aber höchst desolat dar. Hemiparese rechts, totale Aphasie, Niveau der kognitiven Fähigkeiten fraglich. Durch das Seminom verursacht sind bereits Metastasenbildungen in der Lunge, im Abdomen und im Schädel erkannt worden.
Unsere Ärzte jedoch meinen, dass die Behandlung des Seminoms einschl. der bereits gebildeten Metastasen erfolgversprechend sei. Kann ich soweit aus meiner eigenen Erfahrung mit Seminom-Patienten bestätigen.
Auf die Frage, ob er (der Patient) mit der Durchführung der Chemo einverstanden sei, schüttelt dieser vehement mit dem Kopf. Weitere Erklärungsversuche, dass er ohne diese Chemo unweigerlich sterben wird, enden in Weinkrämpfen. Die Chemo aber lehnt der Patient unmißverständlich ab. (zur Klarstellung: pflegerische Maßnahmen wie Körperpflege, Mobilisation, Hilfestellung beim Essen lehnt der Patient nicht ab, sehr wohl aber alle medizinischen Eingriffe wie Blutabnahmen, Infusionen, usw.)
Nun steht der Patient aber nach seiner Hirnstammblutung unter der Betreuung der Eltern. Diese wiedrum bestehen auf die Durchführung der Chemo. Unterschwellig ist zu spüren, dass sie ein "schlechtes Gewissen" plagt, weil sie sehr wohl frühzeitig von einer abnormalen Schwellung im Genitalbereich wussten, ihren Sohn aber zum damaligen Zeitpunkt nicht drängten zum Arzt zu gehen.
Die Verweigerung des Patienten wird nun quasi als "Suizidversuch" gewertet. Dementsprechend ist nun ein Psychiater eingeschaltet worden. Natürlich mit einer einzigen Zielrichtung: dem Einverständnis des Patienten für die Durchführung der Chemo. Die Zeit aber drängt. Nicht nur die Metastasenbildung schreitet voran, auch eine Reha des apoplektischen Insults scheint aus zeitlichen Gründen zunehmend aussichtsloser.
Das Problem der Ärzte dürfte klar sein. Mein Problem als Pfleger: inwieweit kann ich es mit meiner Ethik vereinbaren, im Zweifelsfall doch Zwangsmaßnahmen durchführen zu müssen, deren Anordnung auf das Einverständnis der betreuenden Eltern beruht. Mir widerstrebt diese Vorstellung, doch welchen rechtlichen Spielrahm habe ich, ggf. eine Fixierung des Patienten zu verweigern?
Gruß Stefano
wieder einmal stehe ich vor einer Situation, deren Einschätzung mir nicht leicht fällt.
Es geht um einen Patienten, bei dem nach einer Stammhirnblutung im Krankenhaus zufällig bei der Grundpflege festgestellt wurde, dass er bereits seit geraumer Zeit an einem Hodencarcinom erkrankt ist.
Auf der Urologie wurde der junge Mann zunächst operiert, nun soll er bei uns eine Hochdosis-Chemo erhalten. Der Zustand des Patienten stellt sich aber höchst desolat dar. Hemiparese rechts, totale Aphasie, Niveau der kognitiven Fähigkeiten fraglich. Durch das Seminom verursacht sind bereits Metastasenbildungen in der Lunge, im Abdomen und im Schädel erkannt worden.
Unsere Ärzte jedoch meinen, dass die Behandlung des Seminoms einschl. der bereits gebildeten Metastasen erfolgversprechend sei. Kann ich soweit aus meiner eigenen Erfahrung mit Seminom-Patienten bestätigen.
Auf die Frage, ob er (der Patient) mit der Durchführung der Chemo einverstanden sei, schüttelt dieser vehement mit dem Kopf. Weitere Erklärungsversuche, dass er ohne diese Chemo unweigerlich sterben wird, enden in Weinkrämpfen. Die Chemo aber lehnt der Patient unmißverständlich ab. (zur Klarstellung: pflegerische Maßnahmen wie Körperpflege, Mobilisation, Hilfestellung beim Essen lehnt der Patient nicht ab, sehr wohl aber alle medizinischen Eingriffe wie Blutabnahmen, Infusionen, usw.)
Nun steht der Patient aber nach seiner Hirnstammblutung unter der Betreuung der Eltern. Diese wiedrum bestehen auf die Durchführung der Chemo. Unterschwellig ist zu spüren, dass sie ein "schlechtes Gewissen" plagt, weil sie sehr wohl frühzeitig von einer abnormalen Schwellung im Genitalbereich wussten, ihren Sohn aber zum damaligen Zeitpunkt nicht drängten zum Arzt zu gehen.
Die Verweigerung des Patienten wird nun quasi als "Suizidversuch" gewertet. Dementsprechend ist nun ein Psychiater eingeschaltet worden. Natürlich mit einer einzigen Zielrichtung: dem Einverständnis des Patienten für die Durchführung der Chemo. Die Zeit aber drängt. Nicht nur die Metastasenbildung schreitet voran, auch eine Reha des apoplektischen Insults scheint aus zeitlichen Gründen zunehmend aussichtsloser.
Das Problem der Ärzte dürfte klar sein. Mein Problem als Pfleger: inwieweit kann ich es mit meiner Ethik vereinbaren, im Zweifelsfall doch Zwangsmaßnahmen durchführen zu müssen, deren Anordnung auf das Einverständnis der betreuenden Eltern beruht. Mir widerstrebt diese Vorstellung, doch welchen rechtlichen Spielrahm habe ich, ggf. eine Fixierung des Patienten zu verweigern?
Gruß Stefano
- Qualifikation
- Krankenpfleger
- Fachgebiet
- Onkologie / Hämatologie